SA-Opfer

Vor 75 Jahren - Schlosser Ridlewski Opfer der Mindener SA

Das Manuskript ist leicht gekürzt am 2. Juli 2007 im „Mindener Tageblatt“ unter der Überschrift: „Zuletzt hat der Mörder doch gut lachen“ erschienen.

Im September 1930 wurde die NSDAP zweitstärkste Fraktion im Berliner Reichstag. Die Mindener SA provozierte bereits im Vormonat die ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Stadt. Als die Hakenkreuzjünglinge unter den Parolen „Deutschland erwache“ - „Straße frei für die braune Partei“, durch das damalige Arbeiterviertel am Weingarten marschierten, sollen KPD- und SPD-Anhänger Wasser und Blumentöpfe auf die Nazis gekippt haben und es kam laut „Mindener Zeitung“ zu heftigen Schlägereien. (MZ, 16.8.1930) Die Nazis perfektionierten ihre Taktik der Provokation später, indem sie auf Lastwagen durch hiesige Arbeiterviertel fuhren und Steine in die Fenster warfen. („Weserwarte“ im Folgenden WW 3.8.1931) Alle politischen Kräfte in der Weserstadt waren vor 1933 in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich, mit einer Besonderheit: Die Mindener Nazi setzten unter ihrem Anführer Wilhelm Freymuth ab Sommer 1932 einseitig und ungestraft Schusswaffen ein. Anderenorts griffen durchaus auch Kommunisten zur Pistole und mordeten Menschen.

Hochzeitsfoto von Johanna (geb. Schirmeister) und Heinrich Ridlewski
vom 28.07.1920 (Foto: privat)

 

SA-Terror fordert Todesopfer

Geschossen wurde unter anderem am 24. Juni (Überfall auf Reichsbannerleute am Sommerbad), am 25. Juni (in der Lindenstraße schießt ein Nazi dem Monteur Ohlemeier durch die Nase) und am 27. Juni auf die Tonhalle, dem damaligen Versammlungslokal von SPD und KPD. Eine Frau erlitt dabei einen Oberschenkelsteckschuss. Am 28. Juni kam es nacheinander zu Schießereien am Arbeitsamt, auf dem Marktplatz und auf dem Fluchtweg zum SA-Heim „Pielsticker“ am Trockenhof. Aus der gegenüberliegenden Druckerei des „Mindener Tageblatts“ (im Folgenden MT) war die Polizei alarmiert worden. Sie fand im SA-Heim unter anderem Maschinengewehrteile, drei Handgranaten, Revolver und Munition. Die sozialdemokratische „Weserwarte“ hob dazu hervor, dass vom nazifreundlichen „Herforder Kreisblatt“ die genannten Waffenfunde dreist in das Versammlungslokal der KPD verlegt worden seien. (Vgl. WW vom 2. Juli 1932)

Der SA Terror vor 75 Jahren forderte am 2. Juli 1932 ein Todesopfer in Minden. Der Schlosser Heinrich Ridlewski (geb. am 13. Mai 1895) wurde am 1. Juli von SS-Leuten (die SS gehörte bis zum Sommer 1934 als Untergliederung zur SA) angeschossen und erlag am nächsten Tag seinen Verletzungen. Auf Ridlewski wurden kurz nach 23Uhr, er hatte gerade die Gaststätte Mohme (Königstraße/Ritterstraße) verlassen, von Nazis, die an der Königstraße/Simeonstraße postiert waren, mehrere Schüsse abgegeben. Laut Augenzeugen, darunter ein herbeigeeilter Polizist, liefen drei Nazis in schwarzer Uniform anschließend schnell davon, einer warf einen Revolver weg. Die gebrauchte Schusswaffe wurde von dem Polizeibeamten sichergestellt. (MZ, MT und WW vom 2. und 4. Juli 1932) Als Schütze wurde der flüchtige SS-Mann Drinkuth gesucht. An der Beerdigung von Heinrich Ridlewski nahmen über 1000 Menschen teil, die Predigt hielt Pastor Gerhard Dedecke. (WW vom 9. Juli 1932)

 

Nazihelfer aus konservativen Kreisen

Die Schützenhilfe, die die Mindener SA zu Zeiten der Weimarer Republik aus national -konservativen Kreisen erführ, ist bemerkenswert. Die konservative „Mindener Zeitung“ meinte beschönigend über Freymuths Pistoleros: „Man kann es verstehen, dass sich eine Gruppe der beiden in Fehde liegenden Parteien dagegen auflehnt, dass man ihr streitig machen will, was den anderen seit mehr als einem Jahrzehnt zugestanden ist, das Recht auf die Straße“. (MZ vom 29. Juni 1932) Die Strafvollzugsorgane verhielten sich ähnlich nachsichtig. Der Bielefelder Polizeipräsident räumte am 27. August ein: „Die vielen Zwischenfälle in Minden haben gezeigt, dass Freymuth immer dabei war.“ (Landesarchiv NRW – Abteilung Ostwestfalen-Lippe – M 1 I P Nr. 579) Trotzdem wurden weder der Anführer noch einer seiner Gefolgsleute jemals strafrechtlich für die Schießereien zur Rechenschaft gezogen. Freymuth selbst hatte als bereits stadtbekannter Nazi seine Nahkampfqualitäten 1926/27 in einer fünfmonatigen Grundausbildung bei den Mindener Pionieren erworben, obwohl zu dieser Zeit in der Reichswehr NSDAP-Mitgliedschaften offiziell noch verboten waren. (Stadtarchiv Lübbecke, Erwerbungen/ Biographisches 6) Kirchenmann Viktor Pleß erteilte im März 1931, trotz eines bestehenden SA -Uniformverbots, bei der „Hakenkreuzhochzeit“ in der Martinikirche einem Trupp Braunhemden unter der Nazifahne seinen Segen. Der Pfarrer stand nicht unter Druck. Er erklärte später im Mindener Kirchenblatt, dass ihm egal sei, wenn jemand zur kirchlichen Amtshandlung im braunen Hemd erscheine. (WW vom 21. März 1931 und „Mindener Sonntagsblatt“ 14/1931) Ohne die Hilfestellung aus der gesellschaftlichen Mitte hätten es die Nazis in Minden vermutlich nie und nimmer schon vor 1933 zur stärksten Partei in der Stadt (vgl. MZ vom 7. November 1932) gebracht.

 

Täter amnestiert

Drinkuth war, bevor er Ridlewski angeschossen hatte, in Minden als notorischer Rechtsbrecher bekannt. Im Mai 1932 warf er Fensterscheiben bei dem jüdischen Einheitspreisgeschäft am Wesertor und beim Konsum ein. (WW vom 21. Mai 1932) Am 25. Juni verprügelte er zusammen mit drei weiteren Nazis in der Simeonstraße einen jungen Mann, dessen einziges „Vergehen“ darin bestand, sich zuvor mit der jüdischen Geschäftsfrau Kutschinski unterhalten zu haben. (WW vom 2. Juli 1932) Trotz ihres Rufs  konnten Drinkuth und weitere gesuchte Nazis bis zur Machtübernahme untertauchen. Am 25. Februar 1933, wenige Tage vor ihrem endgültigen Verbot, meldete die „Weserwarte“ Drinkuths Wiederauftauchen in der Stadt. Die Zeitung schrieb: „Gestern standen zwei Leute auf dem Marktplatz und lachten Vorübergehende aus.“ Einer davon sei Drinkuth gewesen. Er habe gut lachen, „man hat ihn amnestiert.“

 

Braune Mitglieder in München gemeldet - Gründung der NSDAP-Ortsgruppe vor 80 Jahren in Minden erfolgt.
Link zum Artikel im
Mindener Tageblatt vom 24. Mai 2003 im PDF-Format

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