Nazihelfer Viktor Pleß

Nazihelfer Viktor Pleß seit 1987 Namensgeber eines Mindener Kindergartens

„Wir Nationalsozialisten wollen aber nicht vergessen, dass er der erste Pfarrer unserer Heimat war, der uns in unserem braunen Ehrenkleide traute – als wir noch nicht die Staatsführung innehatten.“

(NS-Volksblatt 29. Januar 1935)

Dieses Lob der Mindener Nazis galt dem evangelischen Pfarrer Viktor Pleß (1894 – 1935). Es findet sich in der lokalen Parteizeitung, dem NS-Volksblatt, aus Anlass von Pleß` Ableben im Januar 1935. Pleß war von 1924 bis 1935 Pastor an der Mindener Stadtkirche St. Martini. Anno 1987 erfuhr der Pfarrer eine posthume Ehrung. Er wurde Namensgeber des neuen Kindergartens an der Kuhlenstraße 9-11 in Minden, einer Einrichtung des Diakonischen Werks.

Seit 1987 an der Kindertagesstätte des DWM zu lesen
Foto: www.zg-minden.de

Pleß` politische Aktivitäten zugunsten der NSDAP in der Weserstadt wurden 1987 in der Begründung für die Namensgebung einfach verschwiegen. Stattdessen wurden „soziale Verdienste“ angeführt, auf die schon der damalige Mindener Oberbürgermeister Althaus in seinem Nachruf für Pleß hingewiesen hatte. Althaus zählte 1935 in seinem Kondulenzschreiben an das Presbyterium der Martinikirche Pleß` Ehrenämter auf (Vorsitzender des Evangelischen Jugend- und Wohlfahrtsamts, Mitglied des Ausschusses für das städtische Jugendamt, Seelsorger des städtischen Krankenhauses und Mitarbeiter im städtischen Kinderhort) und lobte den Pfarrer „als tätiger Förderer aller Wohlfahrtsbestrebungen der Stadt immer regen Anteil auch an den Arbeiten der Stadtverwaltung genommen“ zu haben. (Siehe Archiv St. Martini, Presbyteria)

Soziale Fürsorge funktionierte ab 1933 als Hebel zur Stärkung der „Volksgemeinschaft“. Wer nicht als „Volksgenosse“ anerkannt war, blieb ausgenommen, ebenso ethnische Minderheiten wie Juden und Sinti. Kirchlicherseits werden diese angeblichen sozialen Verdienste des ehemaligen Pfarrers an der Martinikirche in Minden aber bis heute immer noch nicht hinterfragt. Jüngstes Beispiel für das Wegsehen beim eigenen Verhalten war die ansonsten sehenswerte Wanderausstellung über „Wohnungslose im Nationalsozialismus“, die vom 1. bis zum 23. März in der Simeonskirche in Minden gezeigt wurde. Allgemein erklärte Superintendent Jürgen Tiemann in seiner Rede bei der Ausstellungseröffnung, er „bedauere, dass die Wohlfahrtsverbände damals nicht auf Seiten des Widerstandes gestanden, sondern aktiv mitgemacht hätten“ („Mindener Tageblatt“ v. 4. März 2013), für die Besucher fehlt in der Ausstellung jedoch jeder Hinweis auf konkrete Vorgänge am Ort. Auch die nachfolgende Anfrage lässt Superintendent Tiemann bisher unbeantwortet:

Der unten im Schreiben an den Superintendenten zitierte Artikel „Das neue Werden auf der Landstraße“ wurde von Schriftleiter Viktor Pleß im August 1934 im „Mindener Sonntagsblatt“ (lokale Kirchenzeitung) veröffentlicht. Herausgeber des „Mindener Sonntagsblatts“ waren die evangelischen Pfarrer der Mindener Synode. Der Artikel war vom Geschäftsführer des Westfälischen Herbergsverbandes, Pfarrer Spelmeyer, verfasst.
Link zum Artikel „Das neue Werden auf der Landstraße“ im „Mindener Sonntagsblatt“

Kirchenkreis Minden Haus der Kirche
Rosentalstr. 6
32423 Minden
Z. Hd. v. Superintendent Jürgen Tiemann

Betr. Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ und „Viktor Pleß Haus“
Sehr geehrter Herr Tiemann,
ich habe die Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ in der Simeonskirche, in der über die Diskriminierung von Wohnungslosen, Wanderern, Kranken aber auch Sinti und Roma als „arbeitsscheu“ und ihre Verschleppung in Heime, Arbeitshäuser und Konzentrationslager der Nazis berichtet wird, mit großem Interesse angesehen. Sie haben dazu laut MT vom 4. März 2013 während der Einweihungsfeier hervorgehoben, dass Sie es bedauern, dass „die Wohlfahrtsverbände damals nicht aufseiten des Widerstandes gestanden, sondern mitgemacht haben.“
Ihre Kritik erfolgt m.E. zu Recht. Wie steht es aber mit der Anwendung dieser Erkenntnis vor Ort? Für die Evangelische Kirche war in Minden bis zu seinem Ableben im Januar 1935 der Pfarrer von St. Martini, Viktor Pleß, federführend in der Wohlfahrtsarbeit tätig. Als Schriftleiter des „Mindener Sonntagsblatts“ bewertete Pleß neue Maßnahmen, die das NS-Regime von der Sozialpolitik in der Weimarer Republik unterschied, sehr positiv. Wörtlich konnte man in der Zeitung unter der Überschrift „Das neue Werden auf der Landstraße“ lesen: „Das nicht mehr leichtfertig und sentimental allzu bereite Geben hemmte Hand in Hand mit energischen Polizeimaßnahmen und mit einer überwachten gleichzeitig einsetzenden Fürsorge den Strom der Straße.“ (Sonntagsblatt 32/1934) Der damalige Mindener Oberbürgermeister Althaus nannte Pleß 1935 in seinem Nachruf einen „herausragenden Geistlichen“ und „tätigen Förderer aller Wohlfahrtsbestrebungen der Stadt“. Der Gedanke, dass auch Pleß` Wohlfahrtsaktivitäten die in der Ausstellung benannten Gruppen und Ethnien ausgrenzen half und nur erwiesenen „Volksgenossen“ zugute kam, drängt sich auf.
1987 wurden Pleß für seine „soziale Verdienste“ in Minden erneut besonders hervorgehoben. Ein neuer Kindergarten des Diakonischen Werks in der Kuhlenstraße heißt seitdem „Viktor Pleß Haus“. Ist es nicht an der Zeit, diese Namensgebung zu überdenken?
M.f.G.
Kristan Kossack
Minden, d. 22.3.2013

 

Politische Handlangerdienste für die Mindener Nazis

Pleß` politische Unterstützung für die NSDAP ist in der Begründung für seine Ehrung anno 1987 tabuisiert geblieben. Der Pfarrer war kein NSDAP-Mitglied und befand sich als Bekenntnispfarrer im Dissens mit der Nazikirchenpolitik. Sein politisch-ideologischer Standort war das deutschnationale Lager. Die Zusammenarbeit mit Nazis war bei den Deutschnationalen vor 1933 stark umstritten. Pleß ist seit Anfang der 1930er Jahre für Aktionsbündnisse mit der NSDAP eingetreten und hat die Mindener Nazis nach der Machtübernahme bis zu seinem Tod im Januar 1935 immer wieder ideologisch und politisch unterstützt. Im Folgenden einige Beispiele für Pleß` Versuche, unter Mindener Kirchgängern, Lesern des „Mindener Sonntagsblattes“ und bei Kriegervereinen (Pleß hatte es im 1.Weltkrieg zum Leutnant gebracht) die Nazis salonfähig zu machen.

 

1931 Nazisymbole in der Martinikirche geduldet

Nazihochzeit März 1931: Zwölf Braunhemden waren mit wehender Hakenkreuzfahne in die Kirche marschiert. Pleß erteilte die Sakramente. Seine Begründung, er habe die „politische Neutralität der Kirche“ unter Beweis gestellt“ („Mindener Sonntagsblatt“ 14/1931), lässt außer Acht, dass seit 1930 in Preußen ein Uniformverbot für die SA existierte. Pleß` Verhalten war ungesetzlich. Er hätte die Hakenkreuzjünglinge im März 1931 mit der Polizei aus der Kirche werfen lassen können und müssen. Die Mindener Nazis dankten es Pleß später in ihrem Nachruf mit den Worten: „Wir Nationalsozialisten wollen aber nicht vergessen, dass er der erste Pfarrer in unserer Heimat war, der uns in unserem braunen Ehrenkleide traute – als wir noch nicht die Staatsführung inne hatten.“ (NS-Volksblatt 29. Januar 1935)

Flugblatt der „Weserwarte“ vom März 1931, lokale Tageszeitung der SPD
(KAM Drucksachensammlung E1/Ordner NSDAP)

 

In Pleß` Replik auf das Flugblatt hieß es im „Mindener Sonntagsblatt“ 14/1931 wörtlich:

„Da ich in kirchlichen Dingen kein Ansehen der Person kenne, ist es mir gleich, ob jemand im Gehrock oder Straßenanzug, im braunen oder grünen Hemd zu einer kirchlichen Amtshandlung erscheint. … Zwar habe ich meine bestimmte politische Anschauung, die – nebenbei gesagt – nicht nationalsozialistisch ist, aber als Pfarrer kenne ich weder Standesunterschiede noch politische Parteien. … Darum kann die Antwort auf die Frage: ´Ist das kirchliche Neutralität?` nur lauten: Gerade die ´Nazihochzeit` hat erwiesen, dass die Kirche sich absolut neutral verhält, da politische Rücksichten irgendwelcher Art ihr wesensfremd sind.“

 

1932 für Aufhebung des SA-Verbots

In der von Schriftleiter Pleß verfassten Rubrik „Aus Zeit und Welt“ wird im „Mindener Sonntagsblatt“ am 26. Juni 1932 zur Aufhebung des SA-Verbotes positiv Stellung bezogen. Wörtlich kann man nachlesen: „Das SA-Verbot ist vom Reichspräsident aufgehoben worden und die Pressefreiheit, allerdings mit gewissen Einschränkungen, wiederhergestellt. Nur der Süden unter der Herrschaft des Zentrums und der Bayrischen Volkspartei steht in Opposition und hat ein eigenes Uniformverbot in Kraft gesetzt. Eine alte Regel lautet: Reichsrecht bricht Landesrecht. Der Staatsgerichtshof wird zu entscheiden haben.“ Pleß verschweigt seinen Lesern hier die Umstrittenheit von Hindenburgs Anordnung im konservativen Lager und suggeriert, dass alles rechtsstaatlich ablaufen würde. Zur damaligen politischen Lage in Minden ist bei Pleß` Stellungnahme zu berücksichtigen, dass gerade um diese Zeit, und Pfarrer Pleß dürfte das nicht unbekannt gewesen sein, Mindener SA - Schläger erstmals auf Straßen und Plätzen der Stadt als schießwütige Pistoleros in Erscheinung traten. Die berüchtigte so genannte „Schlacht am Sommerbad“ fand im selben Monat (Juni 1932) statt, in dem Pleß` Artikel erschien. Aufmärsche und physische Attacken gegen politisch Andersdenkende durch die SA - Schläger waren in Minden schon seit Anfang der 1930er Jahre an der Tagesordnung.

 

Im Sommer 1934 Hitler als Retter gefeiert

Montage: www.zg-minden.de, unter Verwendung eines Plakatentwurfs von Heinrich Vogeler, das Zitat ist dem „Mindener Tageblatt“ vom 18. Juni 1934 entnommen.

 

Schon im „Mindener Sonntagsblatt“ 16/1933 hatte Pleß „Führerbriefe“ zitiert, worin von einer Gleichschaltung der „Deutsch Nationalen Volkspartei“ und „Stahlhelm“ mit der „NSDAP“ die Rede ist. Der Schriftleiter wiederholte in seiner Rubrik „Aus Zeit und Welt“ zustimmend Hitlers Forderung, dass es jetzt wohl an der Zeit sei, sich mit „Würde miteinander zu verschmelzen“. Seine besondere politische Sympathie für den Vollzug einer organisatorischen Verschmelzung aller nationalkonservativen und völkischen Kräfte und für die Person des „Führers“ brachte Pleß im Juni 1934 erneut zum Ausdruck. Als erste konkrete Schritte der Gleichschaltung erkennbar wurden hatte das auch vor Ort in nationalkonservativen Kreisen für Unwillen gesorgt. Am 29. März 1934 gab die „Mindener Zeitung“ eine Integration des Stahlhelm in den „Nationalsozialistischen Frontkämpferbund bekannt. Im April war in derselben Zeitung von einem „Befehl“ zur „Eingliederung des Stahlhelm in die SA RI die Rede. (14. April 1934) Anlässlich einer Fahnenweihe aller hiesigen Kriegervereine am Porta Denkmal erklärte Pleß vor 5000 Teilnehmern in einer „Feldpredigt“, dass „die Sehnsucht nach einem starken, nach einem heldschen Menschen, der die Nacht verbannt und die Not besiegt“, jetzt erfüllt sei: Man habe gebetet: „´Herr nur einen einzigen Mann`! Und er war da, Adolf Hitler. Wir haben es erlebt. Das vergangene Jahr gibt davon Kunde. Nun ist das Dritte Reich im Werden.“ („Mindener Tageblatt“ vom 18 . Juni 1934) Vermutlich sollte die Predigt des Pfarrers hier Unmut unter Kameraden in den Kriegervereinen beschwichtigen helfen.

 

Pleß über Juden

Im „Mindener Sonntagsblatt“ setzte sich Pleß besonders eifrig mit der so genannten Judenfrage auseinander. (Vgl. dazu in „Westfalen“ 84. Band 2006: Kristan Kossack, „Das ´Mindener Sonntagsblatt` im ´Dritten Reich` zur so genannten Judenfrage“, Seite 131 – 140) Als die Nazis 1933 den Aprilboykott starteten und auch in Minden bereits im März erste Steine flogen, bzw. Schmierereien und Zwangsschließungen gegen jüdische Geschäfte auf der Tagesordnung standen, griff Pleß im „Mindener Sonntagsblatt“ Nazilügen zur Rechtfertigung auf und kommentierte in Nr. 14/1933: „Die Tatsache, dass die nationale Revolution mit Ausnahme ganz weniger Ausschreitungen ruhig und unblutig verlaufen ist, hat aber einen Teil der ausländischen Presse nicht gehindert, die übelsten und gehässigsten Gräuelnachrichten in die Öffentlichkeit zu bringen. Nach einer Erklärung der Regierung scheint es sich um linksradikale und jüdische Kreise zu handeln.“ Unter der Überschrift „Mit Gott zur neuen Zukunft“ ließ Pleß in derselben Ausgabe den Generalsuperintendenten der Kurmark nach den Verhaftungswellen beim Reichstagsbrand und Aprilboykott wie folgt zu Wort kommen: „Und wenn es um Leben und Tod der Nation geht, muß die staatliche Macht kraftvoll und durchgreifend eingesetzt werden“ In Nummer 15 rechtfertigte Pleß die Übergriffe als „Abwehrmaßnahmen“ gegen „Gräuel- und Boykotthetzpropaganda gegen Deutschland“. Eine weitere positiv verbrämte und rassistisch eingefärbte Bewertung gab der Schriftleiter im „Mindener Sonntagsblatt 16/1933 zum Besten: „Die neue Gesellschaftsordnung, die sich anbahnt, ist zunächst durch ein Ausscheiden der ´Artfremden` bedingt. Das ist wohl das wesentlichste Ergebnis des in der letzten Woche durchgeführten Boykotts.“ Pleß schwächte mit diesen Kommentaren das christliche Widerstandspotential in der Weserstadt.
(Vereinzelt sind auch aus Minden von christlicher Seite Proteste gegen antijüdische Maßnahmen überliefert. Der ehemalige Pfarrer an der Mindener Marienkirche, Martin Lohmann, soll nach dem Novemberpogrom von der Kanzel erklärt haben, dass die Ausschreitungen „sündhaft“ gewesen seien. Der Vater, so Karl Ernst Lohmann gegenüber dem Verfasser, sei danach von den Behörden vorgeladen worden und habe sich dann nicht mehr öffentlich zur „Judenfrage“ geäußert. In einem Bericht der SD-Außenstelle Minden vom Dezember 1941 hieß im Zusammenhang mit den Deportationen: Die Behandlung der Juden habe „die Mitleidsdrüsen verschiedener christlich Eingestellter stark in Tätigkeit gebracht…. Es wäre nicht zu verstehen, dass man mit Menschen so brutal umgehen könnte, ob Jude oder Arier, alles wären doch von Gott geschaffene Menschen.“ (Zur Widerständigkeit vor Ort siehe auch die
Unterseite zum Nazigegner Dr. Hans Graff)  
Im Artikel „Die Judenfrage und das Alte Testament“ („Mindener Sonntagsblatt“ 22/1934) lautet eine These: „Ein erwachendes Volk wie das unsere wird mit innerer Notwendigkeit zum Antisemitismus geführt.“ Der von Pleß ins „Mindener Sonntagsblatt“ übernommene Artikel, Verfasserin ist Anna Paulsen, diente zur Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen und wendet sich gegen die von dieser Gruppierung in der Deutschen Evangelischen Kirche geforderte Abschaffung des Alten Testamentes als „Judenfibel“. Bemerkenswert ist die Art und Weise in der Paulsen und mit ihr Pleß die Bibel verteidigte. Unter Berufung auf im Alten Testament enthaltene Behauptungen über vorgebliche Charaktereigenschaften des Volkes Israel wie „Händlertum“, „Hinterlist“, „schlaue Diplomaten, die für sich selbst das Beste suchen“ usw., heißt es zusammenfassend, dass „gerade im Alten Testament so deutlich wie nirgendwo sonst die
Schranken, die negativen Seiten im Volkscharakter des Judentums gesehen“ würden. Es sei „mit Recht gesagt worden, das Alte Testament sei das antisemitischste Buch der Weltgeschichte.“ Mit dieser These wird ganz offensichtlich der Beelzebub „Judenfibel“ mit dem Teufel Antisemitismus ausgetrieben.
Frei nach dem Judenfresser Adolf Stoecker - Pleß war ein erklärter Bewunderer des Hofpredigers (Zitat Pleß: „Einer der größten Bußprediger unserer evangelischen Kirche und unseres Volkes.“ „Mindener Sonntagsblatt“ Nr. 50/1934) - hieß es in der Mindener Kirchenzeitung, Ausgabe 24/1934: „Bei uns setzen sich die Arier von den Nicht-Ariern ab und versuchen es, den ungewöhnlich starken Einfluss der fremdstämmigen Bürger des Reiches auf das wirtschaftliche und geistige Leben unseres Volkes auf ein erträgliches Maß zurückzuschrauben.“

 

Viktor Pleß, Pfarrer an St. Martini 1924 - 35 (Foto: MT - KAM)

 

Judenstigmatisierung von der Kanzel

Aus der Nazizeit sind etliche Predigten von Pleß überliefert. Danach verkündete der Martinipfarrer auch auf der Kanzel traditionellen christlichen Antijudaismus. Pleß in seiner Predigt „Wartezeit“ über die Juden: Sie schlugen Christus, „den Gottgesandten ans Kreuz. Und darum ist Israel verflucht bis auf den heutigen Tag.“ (Viktor Pleß, Predigten aus dem Jahr 1934, Minden 1935, Seite 78, dokumentiert im Kommunalarchiv) Der Bekenntnispfarrer gab sich mit dieser erstmals in den Paulus Briefen an die Thessalonicher (1. Brief, 2. Kapitel, 15) verbreiteten antijüdischen Hetze nicht zufrieden. In seiner Predigt „Evangelium der Kraft“ skizzierte er seine Vision einer Verbindung zwischen Nationalsozialismus und Evangelium mit folgenden Worten: „Wir leben in einer Zeit, wo auf weltanschaulichem Gebiet viel Neues ans Licht ringt. Wir Christen freuen uns über alles, was dazu angetan ist, Gott die Ehre zu geben. Die großen völkischen Gedanken, die durchgebrochen sind, was sind sie – richtig verstanden – anderes, als ein Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer.“ (Ebd., Seite 20)

 

Als Literat über nationale Anliegen

Pleß war Im Ersten Weltkrieg Leutnant der Reserve. Er war Träger des EK I und des „Kreuzes der Ritter des Kgl. Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern“ (Vgl. Viktor Pleß, Kriegsgeschichte des Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 33 - KAM Nr.2325 - Seite 281f.) Schon 1930 zollte Pleß im „Mindener Sonntagsblatt“ (51/1930) den Nazi-Krawallen in Berlin gegen den Film „Im Westen nichts Neues“ Beifall und mahnte, der NSDAP in der nationalen Frage nicht allein die Bühne zu überlassen.
Im Vorwort seiner Regimentserinnerungen (das Vorwort ist datiert vom Mai 1931) hegt Pleß die Hoffnung,
„dass dieses Buch … aufs neue die Vergangenheit erstehen lässt, die groß war durch unseren gemeinsamen Kampf für das deutsche Vaterland. … Wohl ist unser Volk in die Tiefe gestürzt … aber wir geben eben auf Grund unseres gemeinsamen Erlebens im Felde den Glauben an unser Volk nicht auf.
Dies ist unser Wunsch und unser Gebet:
Zeuch ein zu deinen Toten
Ein neuer deutscher Geist
Der, aus dem Licht geboren,
Den Weg zum Licht uns weist,
Und gründ in unserer Mitte
Wahrhaft und fromm zugleich,
In Freiheit, Zucht und Sitte
Ein tausendjährig Reich!“
(Ebd., Seite IXf.)

Pleß war ein Verfechter des Revanchegedankens, wonach der Versailler Diktatfrieden gewaltsam revidiert und wieder ein neues Reich geschaffen werden müsse (Die Parteien der so genannten Weimarer Koalition - SPD, Zentrum und DDP - strebten im Gegensatz dazu eine friedliche Überwindung von Versailles an)
Pleß` außenpolitisch aggressive Haltung hat ihn aber nicht daran gehindert auch Veranstaltungen der politischen Gegner zu besuchen und sich hier mit Geschick als „Friedensfreund“ zu präsentieren. Zum Beispiel in einem Diskussionsbeitrag auf einer Versammlung des „Volksbundes für Geistesfreiheit“ in Minden, wo er versicherte: Kriege seien entsetzlich, der Wirtschaftsordnung geschuldet und er wünsche eine Welt, die mehr vom Geist Jesu annehme. (vgl. „Weserwarte“ vom 20. Dezember 1930) Auf den ersten Blick konnte hier jeder Pazifist zustimmen. Wer genauer hinsieht und den Begriff „Wirtschaftsordnung“ durch sowjetische Planwirtschaft ersetzt, findet, dass mit diesen Worten auch Kreuzzüge gegen den „jüdischen Bolschewismus“ gemeint sein können. Pleß verstand es wie ein Wolf im Schafspelz, sich abstrakt als friedfertig darzustellen und zugleich im Lager der Kriegstreiber das Wort zu führen.

 

Soziales Engagement und soziale Selektion bei Pleß zwei Seiten einer Medaille

Die Aufzählung von Pleß` Initiativen und Mitarbeit in kirchlichen und städtischen Sozialgremien (vgl. Festschrift des Diakonischen Werkes Minden (DWM) zum 70 jährigen Bestehen, Kommunalarchiv Minden - K2977) verifiziert keine sozialen Verdienste des Pfarrers. Soziale Zuwendungen sollten ab 1933 die Volksgemeinschaft stärken helfen, Nichtvolksgenossen blieben davon ausgenommen. Auf ethnische Minderheiten und politische Oppositionelle warteten Arbeits- und Konzentrationslager. Pleß, der von der Kanzel die „großen völkischen Gedanken, die durchgebrochen sind … als ein Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer“ feierte (Pleß-Predigt „Evangelium der Kraft“ 1934) und das Judentum, Adolf Stoecker folgend, „mit dem Alten Testament bekämpfen“ wollte, dürfte in der Praxis kaum der sozialen Selektion von Juden und Sinti in seinem Pfarrbezirk entgegen getreten sein. Er hat ihr mit dem zitierten Kanzelwort und im „Mindener Sonntagsblatt“ ideologisch Vorschub geleistet. Kurz vor seinem Tod schrieb Pleß im „Mindener Sonntagsblatt“, „mit Ernst lehnen wir es ab, die Kirche zur Zufluchtsstätte politisch unzufriedener Menschen werden zu lassen“ (52/1934). Sein Bekenntnis legt nahe, dass der Pfarrer Nazigegner von seinem sozialen Engagement ebenso ausgrenzte. Mindens Nazi-Bürgermeister Althaus würdigte Pleß in seinem Kondulenzschreiben 1935 folgerichtig als „hervorragenden Geistlichen“. Pleß Ehrung anno 1987 ist obsolet, die Haltung der Kirche in Minden zum Fall Pleß ebenfalls.

 

Öffentliche Würdigungen zu Pfarrer Pleß

Pleß` zeitgenössischer Amtsbruder in der Martinikirche, Gerhard Dedeke, betonte in seiner Trauerrede 1935 für Pleß unter anderem: „Wie kein anderer hat er sich vor zwei Jahren der großen nationalen Wende gefreut“. Dedeke wies in seiner Ansprache ferner darauf hin, dass sich Pleß vom anfänglichen Sympathisanten der Deutschen Christen zum Frontmann der Bekennenden Kirche in Minden entwickelt habe. („Mindener Sonntagsblatt“ Nr. 5/1935)

Der bekannteste Mindener Vertreter der Deutschen Christen war Professor Karl Wentz, bis zu seiner Pensionierung Oberregierungs- und Schulrat beim Regierungspräsident und danach für die Deutschen Christen beim Konsistorium in Münster tätig. Wentz zollt in seinen Erinnerungen, „Wie ich den Kirchenkampf erlebte“ (Schreibmaschinenmanuskript um 1950), Pleß höchstes Lob. Er spricht vom „trefflichen Mindener Pfarrer“, der bei einer Kriegerweihe am Porta Denkmal (siehe oben) Luthers Wort angeführt habe, wonach „Gott, wenn er einem Volk helfen wolle, das nicht durch Gesetze und Verordnungen tue, sondern durch einen Mann, der es besser könne als alle Gesetze.“ (Kommunalarchiv, Bestand DC Nr. 126, Manuskript Wentz, Seite 5/6)

Der Mindener Nazi-Oberbürgermeister Althaus am 26. Januar 1935 über Pleß: „Zu dem plötzlichen Heimgange des Herrn Pfarrers Lic. Pleß spreche ich dem Presbyterium (der St. Martini-Gemeinde, d. V.) die aufrichtigste Teilnahme der Stadtverwaltung aus. Herr Pfarrer Lic. Pleß hat als Vorsitzender des Evangelischen Jugend- und Wohlfahrtsamts, als Mitglied des Ausschusses für das städtische Jugendamt, als Seelsorger des städtischen Krankenhauses, als Mitarbeiter im städtischen Kinderhort und als tätiger Förderer aller Wohlfahrtsbestrebungen der Stadt immer regen Anteil auch an den Arbeiten der Stadtverwaltung genommen. Das Andenken des hervorragenden Geistlichen wird auch bei der Stadtverwaltung und bei der gesamten Bürgerschaft unvergessen bleiben.“ (Archiv St. Martini, Presbyteria)

Das „NS-Volksblatt“ in seinem Pleß-Nachruf am 29. Januar 1935:
„Wir Nationalsozialisten wollen aber nicht vergessen, dass er der erste Pfarrer in unserer Heimat war, der uns in unserem braunen Ehrenkleide traute – als wir noch nicht die Staatsführung inne hatten.“

Kristan Kossack, „Minden–Ravensberger“ 2008, „Nun ist das Dritte Reich im Werden“, Mindener Kindergarten ist seit 1987 nach Nazi-Helfer benannt, Seite 83 - 87

Pfarrer Dr. Müller, 2003 vom Mindener Kirchenkreis mit der Untersuchung der lokalen NS -Kirchengeschichte beauftragt, verschwieg 2005 in seinem „Vortrag zur Haltung von Viktor Pleß zum NS-Regime“ Handlangerdienste des Pfarrers, wie die Hakenkreuzhochzeit von 1931, Pleß` Hitlerbegeisterung im Sommer 1934 oder die antijüdischen Kanzelworte und Sonntagsblatt-Artikel. Siehe MT-Artikel vom 22.11.2005

Über den Namenspatron wird in der Stadt seit über 10 Jahren in der Öffentlichkeit diskutiert. Bis 2010 versuchte die Kirche diese Kritik auszusitzen. Eine kirchliche Stellungnahme, die 2010 erfolgte und bisher nur als Manuskript im Kommunalarchiv vorliegt, (Professor Dr. Andreas Müller, „Kirchenkampf im erweckten Kontext - Der Kirchenkreis Minden in der Zeit des Nationalsozialismus“), strotzt in Hinblick auf einzelne lokale Ereignisse und handelnde Personen vor Halbwahrheiten und Verharmlosungsversuchen. Siehe dazu in der Internetzeitschrift „Kritiknetz“ unter der Kategorie „Antizionismus und Antisemitismus“: 2012: Kristan Kossack, „Schönfärberische kirchliche Halbwahrheiten statt wahrhaftiges Erinnern und Durcharbeiten der Vergangenheit“.

 

Kirchenhistorie als Luftnummer

KirchenhistorieNachWunsch

entsendet – aufgeblasen – bepreist / Collage, kk, 2013

Der inzwischen zum Professor avancierte Kirchenhistoriker Andreas Müller erhielt 2004 von der Kirche den Auftrag, die Haltung der Mindener Kirchengemeinden in der NS-Zeit zu untersuchen, nachdem erste, kritische Veröffentlichungen erschienen waren. Müllers Manuskript, im November 2010 mit einem Gefälligkeitspreis des Mindener Geschichtsvereins bedacht – die Laudatio hielt ein weiterer Vertreter aus der Zunft der Kirchenhistoriker, liegt seit Dezember 2013 in Buchform unter dem Titel „Kirchenkampf im erweckten Kontext“ vor. Das Buch kolportiert, verstreut auf über 700 Seiten, erneut Halbwahrheiten über das Wirken Mindener Bekenntnispfarrer. Etwa, indem darin die Rolle von Pfarrer Pleß als Nazihelfer beschönigt und Pfarrer Graffs Bedeutung als Nazigegner kleingeredet wird.

Link zur Rezension der Veröffentlichung von Prof. Andreas Müller: „`Kirchenkampf ` im `erweckten` Kontext – Der Kirchenkreis Minden in der Zeit des Nationalsozialismus“
PDF-Datei [171kB]

Das „Mindener Tageblatt“, zunächst noch an einer kritischen Aufarbeitung der lokalen NS -Kirchengeschichte beteiligt, gesellte sich später zu den Claqueuren. Ein Bericht zum Erscheinen des Buches geriet zuletzt zur Jubelprosa. Der Leser erfährt, dass Müllers Arbeit „auf Jahre hinaus einen Grundstein für die Auseinandersetzung mit der Geschichte zwischen 1933 und 1945 und auch zum Verständnis der Folgejahrzehnte in der Region“ bilden soll” (MT vom 13. Dez. 2013). Sein Verfasser widersteht offensichtlich weiter erfolgreich jedem Versuch, sich erkennbar mit vorliegenden, kritischen Veröffentlichungen zum Thema auseinander zu setzen.
Kossack, Dezember 2013

 

Leserbrief im „Mindener Tageblatt“ vom 19. Dez. 2013

Leserbrief-Mt-19.12.13-500

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