Interview mit Werner Weber, dem Betriebsratsvorsitzenden der "Melitta-Haushaltsprodukte" in Minden zur Nachkriegsgeschichte der Gewerkschaft bei Melitta Auszüge aus einem Interview mit Werner Weber, das im Februar 1995 geführt wurde. Der Fragesteller war Werner Dirks. Das Schreibmaschinenmanuskript liegt vollständig beim DGB in Minden vor. (.) DIRKS: Wann hast Du hier (bei Melitta) angefangen? WEBER: Ich bin hier 1959 in die Lehre gekommen, habe Drucker gelernt. Nach der Lehre habe ich dann noch bis 1963 hier als Gehilfe gearbeitet. Ich bin dann von 1963 bis 1967 in eine kleine Druckerei hier im Kreis Minden-Lübbecke gegangen und 1967, dann wieder hierher zurückgekommen. Das heißt, Melitta - bis auf diese vier Jahre - mein ermitteltes Eintrittsdatum hier in die Firma liegt bei exakt 1963, so daß ich jetzt schon 32 Jahre bei Melitta auf dem Buckel habe. DIRKS: Und damals war Melitta noch größer? WEBER: Ja, also direkte Vergleichszahlen kann man mal nehmen von 1972 bis heute, weil 1972 war der Höchststand. 1972 hatten wir 4400 Wahlberechtigte zur Betriebsratswahl. 1994, also letztes Jahr, waren es gerade 1500. Daran kann man schon sehen, was an Rationalisierungswellen gelaufen ist - aber auch an Betriebsaufspaltungen. Früher gehörten z.B. zu uns die Firma Melitta-System-Service, diese ist jetzt am Standort Dützen mit 400 Beschäftigten. Es gehörten zu uns hier auch die Zentrale an der Marienstraße, da sind 60 bis 70 Beschäftigte. Früher gab es den Standort Berlin noch nicht, wo dann auch Filtertüten, Folien und auch Papier gemacht wurden. In Berlin sind so ca. 300 Beschäftigte, d. h. es sind nicht alles Rationalisierungsmaßnahmen gewesen, sondern viel auch so genannte Betriebsaufspaltungen bzw. Verlagerungen.
Vom "Geschäftsrat" zum Betriebsrat DIRKS: Seit wann machst Du Betriebsratsarbeit? WEBER: Seit 1972, darum kann ich mich auch so genau daran erinnern, wie viele Beschäftigte wir 1972 hatten. Das war von der Geschichte her so, wie es bei Günter Wallraff endet. Vier Gewerkschaftler haben 1972 für den Betriebsrat kandidiert. Von den 4400 Wahlberechtigten waren wir nur diese vier Organisierten, weil alle Angst hatten, in die Gewerkschaft zu gehen. Von den vieren bin ich einer. Vor 1972 gab es einen "Geschäftsrat", wie wir ihn immer bezeichnet haben, denn in dem Betriebsrat damals war z. B. die Cousine des Chefs, Frau Melitta Feistkorn, und sonst fast nur Abteilungsleiter und Meister. Die wußten nicht, wie stark wir sind. Wir haben zur Bedingung gemacht, dass wir 1972 eventuell eine eigene Liste machen. Über die IG Druck und Papier haben wir also ziemlich viel Wirbel gemacht, vorm Tor z. B. auch und haben eingeladen zu Versammlungen. Da schickten die dann immer Spitzel hin. Die dachten wir wären stärker und bei Melitta hat es noch nie eine Listenwahl gegeben. D. h., die wollten unbedingt eine Persönlichkeitswahl und haben dabei gedacht, dass wir vier dann durch den Rost fallen. Das Gegenteil war der Fall. Das war eigentlich der Test für uns als Gewerkschafter zu sagen, wir testen mal, wie viel Potential da ist. Das kann man schon daran sehen, wenn wir zur Bedingung machen, wir machen keine Liste, aber ihr müßt bei unseren Kandidaten beim Wahlprospekt draufschreiben: "Vertreter der IG Druck und Papier", so dass also die Belegschaftsmitglieder wissen, da sind jetzt vier von der Gewerkschaft, obwohl alle andern, die kandidierten, nicht in der Gewerkschaft waren. Mal sehen, wie viel Potential da ist. Bei dieser Persönlichkeitswahl hat sich dann herausgestellt, daß wir vier die ersten vier waren von der Stimmenzahl her. Die Cousine des Chefs, die früher immer die meisten Stimmen bekam, die die Sozialabteilung leitete, steht aber bei Wallraff auch mit drin, also, die Cousine des Chefs kam erst an fünfter Stelle - nach uns. Wir vier lagen gestaffelt bei gut 800, dann etwa 800, 780 und 750 Stimmen. So lagen wir von der Stimmenzahl her weit vorne. Zum damaligen Zeitpunkt war die Wahlbeteiligung noch nicht hoch bei Betriebsratswahlen. Auch das war eigentlich ein Zeichen, na ja, die Belegschaft ist unzufrieden. 1972 ist das erste Mal die Wahlbeteiligung auch etwas angestiegen, weil welche von der Gewerkschaft kandidierten. Das konnte man auch hinterher beim Stimmenauszählen verfolgen. Viele haben nur diese vier Kreuze gemacht. So, und wir hatten vorher zur Bedingung gemacht, wenn alle vier gewählt wurden, wird einer davon freigestellt. Da hatte die andere Seite gesagt, das können wir euch zugestehen. Diese konkreten Verhandlungen hat der Kollege Helmut Westerwell für die "IG Druck und Papier" in meinem Beisein geführt. Wir haben abgemacht, wenn alle vier gewählt werden, dann würde einer freigestellt, weil, so etwas gab es früher auch nicht. Wir haben dann nach dem Gesetz formal gesagt, die Cousine des Chefs ist freigestellt, der Leiter der Betriebskrankenkasse ist freigestellt und der Betriebsratsvorsitzende, der damalige, der Sinock, auch. So und da wir dann alle vier gewählt wurden, mußten sie auch ihre Zusage einhalten, einen freizustellen und das war dann ich, der freigestellt wurde.
Gewerkschaftsaufbau: Organisationsgrad von 0,01 auf 80 Prozent gesteigert Ich bin von der IG Druck und Papier auch intensiv vorbereitet worden auf das neue Betriebsverfassungsgesetz, also ich habe die Chance bekommen, mit den Funktionären, geschult wurden z. B. Bezirkssekretäre über das neue Betriebsverfassungsgesetz, da mitzumachen. Meine Gewerkschaft Druck und Papier meinte, das ist so ein großer Betrieb, also wenn wir da jetzt schon ein paar Organisierte haben, die bereit sind, dann müssen wir jetzt auch versuchen, da rein zu kommen. So hatte ich dann ganz gute Kenntnisse bezogen aufs neue Gesetz, war dann freigestellt und konnte in den drei Jahren der Freistellung von 1972 bis 1975, auch gewerkschaftliches Denken und solidarisches Handeln praktizieren. Die anderen stellten natürlich den Vorsitzenden bei 27 Betriebsräten, also 23 gegen 4 am Anfang. Es ist dann gelungen, im Laufe der Zeit, das eine oder andere Betriebsratsmitglied zu überzeugen, auch Mitglied der "IG Druck und Papier" zu werden. Aber das wichtigste war in den drei Jahren, das erste Mal einen gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörper aufgebaut zu haben. Es ging damals keiner zum Betriebsrat, d. h. man konnte als Freigestellter schließlich immer vor Ort sein. Da konnte man mit den Leuten reden und man hat auch Aktive gefunden, so daß wir dann zur Betriebsratswahl 1975 schon gewerkschaftliche Vertrauensleute hatten und da haben wir das auch genau richtig eingeschätzt. Da heben wir das erste und einzige Mal bei Melitta eine Listenwahl gemacht. Eine Listenwahl, wo wir ganz bewußt mit Unterstützung der "IG Druck und Papier" nicht eine reine Gewerkschaftsliste gemacht haben. Wir haben zwar nur eine Liste "IG Druck und Papier" genannt, aber es gab zwei weitere Listen aus Betriebsteilen, wie z.B. Uchte. Da haben wir Einfluß nehmen können, da standen unsere Kandidaten an erster Stelle und nach dem d`Hondschen Verfahren konnte man vorher schon ausrechnen: die Listen kriegen nur einen Sitz. Da das auch unsere Leute waren, ist es letztendlich gelungen, bei der Betriebsratswahl 1975 erstmals eine Stimme Mehrheit der Organisierten im Betrieb zu haben, nämlich 14 : 13. Ab 1975 haben wir damit die Mehrheit gehabt und das hat sich kontinuierlich weiterentwickelt. 1978 waren noch drei nichtorganisierte Betriebsräte dabei. Ab 1981 hatten die keine Chance mehr - sie sind nicht mehr gewählt worden, obwohl seitdem immer Persönlichkeitswahlen waren, bis heute. Heute besteht der Betriebsrat natürlich aufgrund der weniger gewordenen Kolleginnen und Kollegen nur noch aus 15 Mitgliedern, aber die sind alle gewerkschaftlich organisiert. Der Organisationsgrad im Betrieb war damals also 0,01 %. Heute haben wir einen Organisationsgrad - Arbeiter und Angestellte zusammen - von ca. 80 %, d. h. aber, im Arbeiterbereich haben wir einen Organisationsgrad von 95 %, bei den Angestellten liegen wir auch erstaunlich gut, so daß wir insgesamt so bei 80 % liegen.
Wallraff bei Melitta DIRKS: Und die Wende war tatsächlich Anfang der siebziger Jahre? WEBER: Ja, also die Wende ist gekommen, nachdem Günter Wallraff hier im Betrieb war. DIRKS: Die Arbeitnehmer haben Wallraff gelesen, ja? WEBER: Ja, also, der war hier im Betrieb, hat gearbeitet und dann auch seine Veröffentlichungen gemacht (siehe: Günter Wallraff, Brauner Sud im Filterwerk, Melitta-Report, Neue Reportagen, Untersuchungen und Lehrbeispiele, Hamburg 1974, Seite 7ff) und das gab natürlich großen Wirbel. Danach, zeitgleich, haben wir angesetzt, als "IG Druck und Papier", dann auch als Organisation hier aktiv zu werden. Wir haben das natürlich genutzt, haben versucht einen Firmentarifvertrag zu bekommen, eine Anerkennung des Tarifvertrages, was immer abgelehnt wurde. Da hat es Treffen gegeben mit dem Landesbezirksvorstand der "IG Druck und Papier" mit den Hausjuristen und dem Bentz in der Autobahnrasstätte Rhyern auf halbem Wege. Das war richtig wie Krieg, letztlich wurde gerichtlich anerkannt, daß die IG Druck und Papier zuständig ist, weil der Betriebsleiter damals Aussagen machte, daß der Richter schon sagte: "Es spricht alles dafür, daß die IG Druck und Papier mit dem Tarifbereich Papierverarbeitung zuständig ist". Ab da wurden 1972 auch die Tarifverträge anerkannt (.) wir hatten dazu auch eine Dokumentation gemacht, die hieß: "Von der Alleinherrschaft bis hin zur Akzeptanz von demokratischen Grundrechten", die verschwunden ist. Heute sind wir eigentlich stolz auf das Erreichte.
Fotos aus “aktion Melitta” 12/70
DIRKS: Aber ihr werdet doch sicherlich Teile von dieser Dokumentation noch haben, Teile davon sind doch noch da, ja? WEBER: Ja, also, eigentlich haben wir fast gar nichts mehr. Wir haben nur Teile davon, weil wir jetzt wieder angefangen haben, zu sammeln. Wir haben Kolleginnen und Kollegen aufgefordert: wenn ihr noch etwas im Keller habt oder irgendwo im Schrank versteckt habt, so gebt uns das, weil uns unsere Dokumentation offensichtlich gestohlen worden ist. Hier im BR-Büro ist eingebrochen worden. DIRKS: Wann war das? WEBER: Vor einem Jahr etwa. Wir hatten diese Dokumentation natürlich auch überall publik gemacht. Da haben sich viele für interessiert. Wir haben auch gesagt, da könnt ihr reinschauen. So daß diese Dokumentation ziemlich bekannt war. Wir hatten sie im BR -Büro und hier ist ein Schrank aufgebrochen worden, und zwar nur der Schrank, in dem diese Unterlagen drin waren und seitdem sind sie weg. Wir können den Diebstahl nicht beweisen, nur dann müssten die Unterlagen ja woanders gelandet sein. Also, wir vermuten eindeutig, daß diese Dokumentation gestohlen wurde, denn da hatten wir auch brisante Dinge drin, z. B. Namenslisten von Firmen und auch Briefe von einzelnen Verbrauchern aus der damaligen Zeit zum Boykott von Melitta-Produkten, nachdem in Monitor und in anderen Sendungen bekannt wurde, wie der Bentz hier mit den Leuten umspringt. Also, so einzelne Dinge haben wir durchaus noch. Aber das wichtige, wie das Orginal der Werkzeitung als Sonderausgabe zur Verleihung der goldenen Fahne als nationalsozialistischer Musterbetrieb, das haben wir nicht. Wir müssen mal sehen, ob wir da noch drankommen. (.) DIRKS: Wie ist der Wallraff hier her gekommen? Hat er hierher gefunden oder habt ihr ihn zur Hilfe geholt? WEBER: Nein, der hat sich mal erkundigt bei der "IG Druck und Papier", das weiß ich und hat gefragt, gibt es auch einen Betrieb, wo es große Probleme gibt und so. Ja und da ist ihm gesagt worden: Melitta ist so einer. Danach hat keiner von uns gewusst, daß er kam. Erst, nachdem er im Betrieb drin war, hat es Kontakte zu Einzelnen gegeben.
Firmenchef Horst Bentz contra Gewerkschafter DIRKS: Und wie war es dann, ich meine, ihr ward natürlich im Aufwind durch die Öffentlichkeitswirksamkeit seiner Aktion, aber wie hat Bentz sich verhalten? Hat er Euch mal zu sich geladen? WEBER: Also Bentz hat sich ziemlich schlimm verhalten. Wir Gewerkschafter wurden ständig bespitzelt - auch auf der Toilette. Das hat jetzt nichts mit Wallraff zu tun, sondern das hatte mit unserer Arbeit zu tun., Werbung für die Gewerkschaften mit Flugblättern usw . So hat er u. a. die vier Organisierten, die wir damals waren, auch öffentlich in einer Versammlung niedergemacht. Die Keimzelle bei uns, aus seiner Sicht die rote Keimzelle, lag in der Druckerei damals und öffentlich hat er erklärt, das lässt er nicht mit sich machen, da hat er dann seinen Hausjuristen auch sitzen gehabt und ab sofort ginge das so nicht weiter, diese Leute würden den Betrieb verlassen müssen. Da waren wir drauf vorbereitet und ich habe als Sprecher dann für die vier geantwortet: "Genau das ist es, was wir immer sagen, daß Sie demokratische Rechte hier nicht akzeptieren, noch nicht mal das Grundgesetz, bezogen auf Koalitionsfreiheit und der Rausschmiß ist dann für uns der letzte Beweis. Aber so weh tut uns das nicht, auch gegenüber der Belegschaft müssen wir erklären, daß selbstverständlich die Gewerkschaft dafür gesorgt hat, wenn uns so etwas passiert, daß wir in anderen Betrieben Arbeit finden". Das war auch so. Stellen hatte die "IG Druck und Papier" besorgt. Das hat dann dazu geführt, daß der alte Bentz sagte: "Gehen sie alle wieder zurück an ihre Arbeitsplätze. Die Versammlung ist abgebrochen. Sie hören noch von mir." Wir sind daraufhin alle an unsere Arbeitsplätze gegangen und dann kam ein Anruf, daß wir vier zu ihm kommen sollten. Dann hat er mit dem Hausjuristen in Einzelgesprächen versucht - also die beiden immer mit dem Einzelnen von uns - irgendetwas herauszukriegen. Mich hat er z. B. angeschrieen wie verrückt, also wir würden doch speziell zu einer Kaderschule geschickt, nur um die Unternehmer fertig zu machen und die Betriebe kaputt zu machen. Wir waren auf so etwas natürlich vorbereitet und auch verhältnismäßig cool. Bei dem einen oder anderen saß es natürlich auch verdammt tief, muß ich sagen. So, und dann hat er gesagt: "Gehen Sie zurück an die Arbeitsplätze. Sie hören noch von uns". Es wurden keine Kündigungen ausgesprochen, da haben die Juristen wohl abgeraten, sondern wir wurden dann degradiert, das wurde so öffentlich gemacht. Der Kollege, der am längsten in der Gewerkschaft war, das war der Kollege Fritz Tiemann, das war ein Vorarbeiter in der Druckerei . Das war der einzige, der sich bei der Einstellung schon dazu bekannt hatte, Mitglied der "IG Druck und Papier" zu sein und den sie trotzdem auch eingestellt haben. Bei anderen erfanden sie dann Argumente. Die haben nie gesagt, wegen ihrer Mitgliedschaft zur Gewerkschaft werden sie nicht eingestellt, sondern da haben sie schon irgendwelche Gründe gefunden. Dieser Fritz Tiemann hat immer zur Gewerkschaftsbewegung gestanden und hat es auch geschafft, Vorarbeiter zu werden in diesem Betrieb. Der konnte auch immer klar trennen zwischen seiner Tätigkeit als Vorgesetzter und seiner Gewerkschaftsarbeit, also das ist für mich immer so eine Vorbildfunktion gewesen. (.)
Einschüchterungsversuche der Firma gescheitert Dieser Fritz Tiemann, der wurde vor allem damals degradiert, indem gesagt wurde, ab sofort ist er nicht mehr Vorarbeiter und kommt hier an die kleinste Maschine, für die primitivsten Arbeiten. Bei mir wurde gesagt, auch öffentlich, ab sofort sei ich nicht mehr für die Ausbildung zuständig. Ich bilde mir ein, einer der besten Drucker gewesen zu sein. Weil ich vom Buchdrucker auch zum Offsetdrucker umgeschult wurde, lernte ich auch andere Buchdrucker für Offset an. Bei mir wurde damals gesagt, ab sofort ist der nicht mehr in der Lage dazu und somit darf er auch keinen mehr anlernen. Uns wurden die Zulagen gestrichen. Für Fritz Tiemann z. B. die Vorarbeiterzulage. Bei mir die Qualifikationszulage für die Ausbildung. Das haben wir selbstverständlich während einer Klage als Gemaßregeltenunterstützung, aufgrund der Satzung der "IG Druck und Papier", von unserer Gewerkschaft ersetzt bekommen. Also, Verluste hatten wir nicht. Wir konnten da aus materieller Sicht schon ganz schön cool vorgehen, trotzdem hat das dazu geführt, daß dann zwei von uns Vieren, das war übrigens alles noch vor der Betriebsratswahl 1972, das Handtuch geworfen haben. Die haben den seelischen Druck nicht ausgehalten und so blieben Fritz Tiemann und ich dann übrig. Am Ende kriegten wir auch wieder das Geld - wurden wieder eingesetzt, weil die Karten für die anderen ganz schlecht waren. Auch rechtlicher Natur. So, und dann haben eben, was ich schon vorhin erzählte, der Fritz Tiemann und ich 1972 kandidiert, noch einer aus dem Bereich Druckerei, der Kollege Hans-Jürgen Ebers und meine Frau als Hilfsarbeiterin aus der Papierverarbeitung. Ja und so hat es dann angefangen, wie ich es am Anfang erzählt habe.
Gleiche Rechte für Frauen und ausländische Arbeitnehmer DIRKS: Was ich noch fragen wollte, ausländische Arbeitnehmer. Habt Ihr jetzt noch
ausländische Mitarbeiter und wie war das in den siebziger Jahren, wie hoch war ihr Anteil? In den siebziger Jahren ist damals auch ein Spanier in Wallraffs Buch erwähnt. Wir haben mit Kolleginnen und Kollegen vor Ort gesprochen, insbesondere auch mit den Frauen. Es war schwer. Es gibt ja heute noch Männer, die die Auffassung vertreten, Frauen müssen nicht unbedingt das gleiche verdienen, auch wenn sie die gleiche Arbeit machen. Wir haben es z.B. im Versand mal hingekriegt mit Betriebsrätinnen und auch mit gewerkschaftlichen Vertrauensleuten aus dem Bereich, daß die Frauen sich alle solidarisiert haben und gesagt haben wir machen die gleiche Arbeit, wir wollen auch das gleiche Geld. Dann gab es dazu eine Versammlung, wo dann der Betriebsleiter kam. Das war laut Günter Wallraff dieser kleine, graue Runte, der da beschrieben ist im Wallraff-Buch. Ein paar Kolleginnen, das muß man dabei sagen, die haben sich vorher leicht einen getrunken, so eine Angst haben die vor dieser Zusammenkunft gehabt, um ihre Forderungen gegenüber der Firma kollektiv zu vertreten. Da hat sich z. B. dieser Runte hingestellt und hat gesagt: "Also, wenn ihr jetzt nicht spurt, dann lasse ich einen Wagen voll mit Jugoslawinnen kommen und die arbeiten für das Geld". Das soll beispielhaft dokumentieren, wie zu der Zeit auch ausländische Arbeitnehmer hier gesehen wurden, nämlich als Minderwertige. Heute sieht das ganz anders aus. Ausländische Kolleginnen und Kollegen sind bei uns gleichberechtigt. Das sage ich ganz bewusst so. Meine Kollegin Eva Galani, die hier jetzt gerade reinkommt, ist meine Stellvertreterin im Betriebsrat - sie ist also die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Sie ist Griechin und Angestelltenvertreterin. Obwohl nur noch ca. 160 ausländische Kolleginnen und Kollegen im Betrieb arbeiten, kriegte sie z. B. bei der Betriebsratswahl 1994 800 bis 900 Stimmen. Ein wahnsinnig hoher Anteil bei gemeinsamer Wahl, also von Arbeitern und Angestellten. Wir haben zusätzlich eine Arbeiterin als Griechin im Betriebsrat, die arbeiten auch aktiv mit im Vertrauensleutekörper, da gibt es keine großen Probleme. Wenn ich sage keine großen - kleine gibt es. Es gibt immer wieder einzelne Arbeitnehmer im Hause - auch heute noch, wo es dann mal Schmierereien gibt an der Toilette, Kanaken oder so was in Einzelfällen. Aber wir gehen dieses Thema gemeinsam offensiv an. Da macht heute auch die Firmenleitung mit. In Betriebsversammlungen oder auch generell in der Öffentlichkeit ist dies oft ein Thema. Es hat auch schon mal eine Aktion gegeben. Nach einer Betriebsversammlung im November 1992 haben sich vier deutsche Arbeitnehmer zusammen getan und haben in der Kantine eine Aktion gestartet, eine Pinnwand aufgestellt und Positives und Negatives zur Thematik Ausländer aufzeigen lassen. Wir sind ein internationaler Konzern, d. h. wir wollen überall unsere Sachen verkaufen, warum können wir nicht auch gemeinsam arbeiten? Also, das sind wir hier offensiv angegangen. Darüber sind wir eigentlich sehr froh und das läuft ganz gut. Das sagen auch die meisten ausländischen Kolleginnen und Kollegen.
Nach dem Ausscheiden von Horst Bentz sachliches Verhältnis zur Geschäftsleitung (.) DIRKS: Wie ist heute der Umgang mit der Firmenleitung? WEBER: Also nachdem die Söhne das Sagen bekamen, da war ja am Anfang Jörg Bentz und dann kam Dr. Thomas Bentz dazu. Inzwischen ist Stephan Bentz ja auch noch da, das war vollkommen anders. (Horst Bentz hatte sich 1981 aus der Firmenleitung zurückgezogen) Die akzeptierten natürlich alle Grundrechte. Die akzeptieren gesetzliche Bestimmungen, das ist gar keine Frage. Da konnte man auch Kritik üben und mußte nicht befürchten, daß man gleich rausfliegt. Denen war es dann auch egal, ob man klagte oder nicht. Es gibt auch keinen Druck bzw. Zwang mehr, wie z. B. früher bei den Spenden zum Melitta-Bad. Die Stadt hat sich damals noch damit gerühmt. Wir sind auch heute noch nicht gerade gut auf die Stadt zu sprechen, um das mal deutlich zu sagen. Wie in vielen Städten arbeitet man lieber mit den Geschäftsführern allein zusammen. Wir bringen z. B. kein Verständnis dafür auf, wenn die Stadt damals zu Ehren - was weiß ich - seinem 75. Geburtstag einen großen Empfang gibt und dabei den Betriebsrat nicht einlädt. Oder, wenn der Bürgermeister - auch heute noch - also, das hat sich nie geändert, hier im Betrieb rumrennt, Gespräche führt, aber niemals fragt, wie sieht das eigentlich aus Arbeitnehmersicht aus.
Stadtspitze hofierte Horst Bentz: Bürgermeister Hattenhauer überreicht die "Melitta -Straße" als "Geschenk für die Treue, die Horst Bentz der Stadt gehalten hat." (siehe: "Rund um Melitta", Nr. 21/Dezember 1958)
Erfolge "beteilungsorientierter Gewerkschaftsarbeit" DIRKS: Was kannst Du Positives berichten? WEBER: Also, alles was bei Günter Wallraff an Negativem stand, stimmte auch so. Die Firma sagt zwar immer, das stimmt so nicht, aber das ist dummes Zeug. Das stimmte alles, bis hin zu fehlenden Sicherheitsschuhen - und vieles mehr. All das haben wir inzwischen aufgearbeitet und inzwischen sind wir nicht nur stolz auf das, was wir erreicht haben, mit der Belegschaft zusammen. Wir arbeiten auch gern hier, weil wir inzwischen auch Bedingungen haben, die sich sehen lassen können. Hier werden alle Bestimmungen eingehalten. Im Gegenteil: es gibt Vereinbarungen, die auch darüber hinausgehen. Wir haben gute Regelungen, z. B. in solchen sozialen Dingen, wie die Sicherheitsschuhe, was erwähnt wurde. Das Kantinensystem, also auf so etwas legen die Menschen auch wert. Aber wir haben auch gute Bedingungen bei Entlohnungen, teilweise auch weit über tarifliche Bestimmungen. . Aufgrund meiner ehrenamtlichen Funktionen in der "IG Medien" (Nachfolgeorganisation der "IG Druck und Papier", kk), meine ich, das beurteilen zu können. Bei uns ist auch alles schriftlich per Betriebsvereinbarung geregelt und oft wirklich gut geregelt. Da kann man manches schon als Mustervereinbarung sehen. (.) Weil wir als Betriebsrat und Gewerkschaft automatisch auch sofort beteiligungsorientiert die Belegschaft einbeziehen, ist die Vertrauensleutesitzung offen und da fragen wir dann auch nicht danach, ob die Kollegin oder der Kollege organisiert oder nicht organisiert ist. (.) Also , dieses Prinzip "Aktive auf Zeit", das muß man fördern - das findet man viel. Das merkt man auch bei Streikauseinandersetzungen. Wir sind ja nun inzwischen sehr streikerfahren. In den letzten fünf Jahren mussten wir jedes Jahr zum Mittel des Streiks greifen. Wir hatten letztes Jahr mehrere Wochen, über Monaten hinweg starke Auseinandersetzungen. Wir hatten bei Melitta u. a. auch schon rollierende Streiks, die immer mehr ausgeweitet wurden, am Ende war z. B. 1991 fast der ganze Betrieb draußen. Da haben wir dann eine Großkundgebung auf dem Kleinen Domhof mit 3500 Leuten gemacht. Dazu habe ich u. a. auch einen Videofilm. Da gibt es dann auch viele Aktive auf Zeit, also, die sich anbieten, Streikposten und andere Arbeiten zu übernehmen. Also, wenn man das geschickt anpackt , beteiligungsorientierte Gewerkschaftsarbeit zu machen, brauchen wir uns nicht zu fürchten, dass Gewerkschaftsverdrossenheit da ist. (.) Februar 1995 zurück zu Werner Dirks |